China. Was verbindest du mit diesem riesigen Land der Gegensätze, in dem über 1,4 Milliarden Menschen leben, die zu 56 ethnischen Gruppen gehören? Kulinarische Vielfalt oder 24/7 Reis? Reiche Traditionen und eine lange spannende Geschichte oder die brutale und rücksichtslose Kulturrevolution? Ein Überwachungsstaat oder Fortschritt, Digitalisierung und die neuesten Technologien? Riesenmetropolen oder wunderschöne Landschaften? Arme Bauern oder reiche Städter? Eine seltsame Sprache mit tonaler Phonetik und komplizierten Schriftzeichen oder Poesie und Kalligraphie? Eine lebendige Kirche oder Christenverfolgung und die Missachtung von Menschenrechten?
Ich hatte letzten Sommer die Gelegenheit, einen kleinen, aber tiefen Einblick in das facettenreiche und vielschichtige China zu bekommen. Zwei Wochen lang war ich mit 11 anderen Studis und Berufseinsteigern unterwegs, begleitet von unserem deutschen Reiseleiter Eckehard und unserem chinesischen Reiseleiter Ben. Eckehard hat 16 Jahre mit seiner Familie als Christ und Arzt in China gelebt. Bens Leidenschaft ist Ehecoaching und Evangelisation.
Die erste Woche reisten wir durch den Südwesten Chinas in der ländlich geprägten Provinz Yunnan. Eines meiner Highlights der ersten Tage war eine alte Christin, die uns zum Abendessen zu sich nach Hause einlud: Trotz ihrer 92 Jahre erwartet sie uns schon vor ihrer Haustür, um uns willkommen zu heißen – was für eine Ehre! Denn in China sind es gerade die alten Menschen, denen von jedem Respekt entgegengebracht wird und die man äußerst zuvorkommend behandelt. Ihre Familie bekocht und bedient uns warmherzig, während sie uns ihre bewegende Geschichte erzählt: Wie sie als Mädchen zum Glauben kam, weil sie in der benachbarten Kirche spielte und dort den Geschichten lauschte, wie sie und ihr Ehemann in der Kulturrevolution in schwere Bedrängnis gerieten, aber Gott sie durch diese dunkle Zeit getragen hat, besonders durch die eine Bibel, die sie, eingenäht in die Kleidung ihres kleinen Sohnes, vor den Polizisten verstecken konnte. Die alte Dame strahlt eine kindliche Freude, tiefe Dankbarkeit und felsenfesten Glauben aus! Ich bin zutiefst gerührt, als sie uns in ihrer Muttersprache ein Lied vorsingt und als wir alle später mit der ganzen Familie in einem großen Kreis stehend gemeinsam beten und singen.
Ein weiteres Highlight in Yunnan war unsere Bergwanderung. Wir schafften es nicht ganz bis zum Gipfel, aber immerhin auf 3000m, um zumindest höher als die Zugspitze gestiegen zu sein 🙂
Ben und ein chinesischer Student waren das Bergsteigen nicht gewohnt – wandern, wie wir es kennen, scheint kein sehr chinesisches Hobby zu sein. Um uns einzuholen, ließen sie sich kurzerhand von einem Auto mitnehmen, das sie unterwegs überholte. Der gastfreundliche Fahrer lud daraufhin unsere ganze Gruppe zu sich nach Hause ein. Sein Haus lag ohnehin auf unserem Weg und so ließen wir uns im Hof seiner Familie auf kleinen Stühlchen nieder, wurden mit Tee und Sonnenblumenkernen bewirtet und hatten, bevor wir wieder aufbrachen, die Möglichkeit, für ihn und seine Familie zu beten.
Diese Gastfreundschaft und freundliche Neugier Ausländern gegenüber ist etwas, das ich mir für unsere deutsche Kultur wünschen würde!
Was ich von unserem chinesischen Reiseleiter Ben lernen möchte, ist seine authentische und manchmal ganz schön offensive Art zu evangelisieren. Er lässt keine Möglichkeit verstreichen, den Menschen von Jesus, von seiner Liebe und der Hoffnung, die er uns schenkt, zu erzählen. Und er hat die Fähigkeit, das Evangelium so zu formulieren und die richtigen Facetten zu betonen, dass es in den Kontext und die Situation der Menschen passt. Egal, ob bei der Familie im Bergdorf, dem Fahrradfahrer, mit dem wir an der Ampel warteten, oder den alten Damen in der U-Bahn auf ihrem Weg zum Schönheitswettbewerb.
Am Abend nach unserer Wanderung waren wir in einer staatlich registrierten Gemeinde in der Stadt am Fuße des Berges eingeladen. Uns erwartete ein reich gedeckter Tisch mit Früchten, Süßigkeiten, Tee… Das Pastorenehepaar erzählte uns ihre Geschichte und berichtete von den Herausforderungen, die sie als Gemeinde erleben. Auch alle anwesenden Gemeindemitglieder – nur Frauen – nannten uns ihre Gebetsanliegen. Sie sangen uns Lieder vor und schon beim zweiten erkannten wir die Melodie und stimmten auf deutsch mit ein. Ein absoluter Gänsehautmoment für mich, besonders auch, als wir nach dem Gebet gemeinsam das Vaterunser beteten – jeder in seiner Muttersprache.
Das ist eine der großen Erkenntnisse, die ich von dieser bewegenden Reise mitgenommen habe: Was es bedeutet, Teil der weltweiten Gemeinde, des Leibes Christi zu sein. Es heißt, die Nöte der anderen zu kennen, im Gebet dafür einzustehen und sie zu ermutigen. Es heißt, gemeinsam zu singen und zu beten, auch wenn man die Worte des anderen nicht versteht, weil man den Gott kennt, an den sie gerichtet sind.
Um die Dörfer und Städte, in denen wir uns aufhielten, mit unseren menschlich gesehen begrenzten Möglichkeit zu segnen, spazierten wir immer wieder betend durch die Orte und brachten die Menschen und ihre geistlichen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Nöte vor unseren großen Gott.
Wir lernten ein paar der ethnischen Minderheiten Chinas kennen, die dort auch in den Städten leben, und beteten für sie, die sie in großen Teilen völlig unerreicht vom Evangelium sind. Aber nicht unerreichbar für einen allmächtigen Gott.
Nach der Woche in Yunnan machten wir uns in den Nordosten auf, zunächst nach Xian und später in die Landeshauptstadt Beijing. Den letzten Tag verbrachten wir in Tianjin.
In Xian beeindruckte mich besonders der winzige Laden der mutigen Helen im Muslimquarter, der von der Regierung auf wenige Quadratmeter hinter einem anderen Laden begrenzt wurde. Dort führt Helen die Arbeit ihres Vaters, dessen bewegende Geschichte viele von uns zu Tränen rührte, fort: christliche Kalligraphie. Auf große und kleine Spruchbanner und Lesezeichen zeichnet sie Tag für Tag einen Bibelvers nach dem anderen, um Menschen zu ermutigen und zu segnen. Wir hatten als Gruppe schon vor der Reise ein chinesisches Lied gelernt. Es ist die vertonte Form von 1.Korinther 13 – das Hohelied der Liebe. Bei unzähligen Gelegenheiten, in Familien, in Gemeinden und sogar auf einem chinesischen Jahrmarkt konnten wir das Lied für und mit den Menschen singen. Jeder Christ in China scheint es zu kennen. Und genau dieses Kapitel war Helens Lieblings-Bibelstelle, was sich vielfach in ihren Kalligraphien widerspiegelte. Dieses Lied gemeinsam mit ihr zu singen, war für mich zutiefst bewegend.
Ich könnte noch von so vielen Begegnungen berichten! Fast bei jedem Essen hatten wir Gäste, die uns aus ihrem Leben erzählten. Da war eine Neurologin, die trotz oder vielleicht auch wegen mehrerer einschüchternder Verhöre zum Glauben gekommen war, und sich kurz vor unserer Reise hatte taufen lassen. Wir aßen mit dem Pastorenehepaar einer Untergrundgemeinde zu Abend, das uns von den Herausforderungen in der Gemeindearbeit, beim Erreichen von Familien und vor allem Kindern und Jugendlichen und in der Erziehung ihrer Teenager berichtete. Wir trafen auch mehrere Sozialarbeiter, die uns von verschiedenen Projekten, zum Beispiel mit den Kindern von Gefängnisinsassen, erzählten. Die junge Frau, die dieses Projekt vorstellte, hatte als Kind das gleiche Schicksal erlebt und brachte uns durch die spannende und bewegende Geschichte zum Staunen, die Gott in ihrem Leben geschrieben hat und immer noch schreibt. Ein Universitätsprofessor erzählte von seinen inspirierenden Erkenntnissen darüber, wie Konfuzius Jesus für Chinesen nahbar macht. Wir sprachen mit Studenten, Kindern, Lehrern, Eltern, Großeltern, Ärzten, einem christlichen Hotelbesitzer, der uns für den halben Preis in seinem Tang-Dynastie-Art Hotel wohnen ließ, einem Firmenbesitzer…
Man mag es kaum glauben, aber zwischen all diesen Begegnungen war noch Zeit, Städte anzuschauen, über Märkte zu schlendern und die Vielfalt an Obst, Gebäck, Kunsthandwerk,… zu genießen. Wir besuchten Kirchen, Tempel und Museen, veranstalteten einen Wettlauf auf der großen Mauer, besuchten ein Immobilienmakler-Unternehmen in Tianjin, wo wir durch die beeindruckenden Räumlichkeiten geführt und anschließend vom Firmenboss zu Peking-Ente eingeladen wurden. Wir lernten von einem professionellen Koch chinesische Dumplings zuzubereiten (nur seine Geheimzutat wollte er uns nicht verraten), rasten in einem Schnellzug mit 310 km/h und in einem Nachtzug mit weniger km/h, aber dafür im Bett durch China. Wir spazierten zwischen wunderschönen Reisterrassen und beobachteten, wie die Reissäcke von einer riesigen Drohne über die Felder transportiert wurden. Wir besuchten ein Krankenhaus der traditionellen chinesischen Medizin, in dem sich zwei Mutige von uns mit Akupunktur und Schröpfen „behandeln“ ließen. (Darf man das behandeln nennen, wenn die Beschwerden nur vorgetäuscht waren, um die Behandlung zu bekommen? ;))
Und die ganze Zeit über wurden wir mit unvergleichlich großer kulinarischer Vielfalt verwöhnt. Chinesen essen drei mal am Tag warm und egal, ob selbstgekocht, im Restaurant, Streetfood oder Cafés, hungrig blieben wir nie. Zum Abnehmen ist diese Reise wirklich nicht geeignet.
All das wurde von unbezahlbaren Einblicken in die chinesische Kultur und von persönlichen Anekdoten durch unsere Reiseleiter untermalt, die gleichzeitig unsere Dolmetscher waren. Ich bin mir sicher, dass man auf sonst keiner Reise dieses Land, das für uns Westler oft so fern und unverständlich erscheint, so nah und unmittelbar erleben kann.
Der Schein trügt nicht, wir hatten in diesen zwei Wochen ein wirklich volles Programm. Die Liste ist noch lange nicht vollständig und es gäbe noch so viel mehr zu berichten. Für mich als Introvertierte war das auch immer wieder herausfordernd. Aber es hat sich definitiv gelohnt und auf Busfahrten oder abends im Hotel gab es auch immer wieder Ruhepausen und Zeit zum Reflektieren 🙂
Nach dieser Reise verbinde ich mit China tatsächlich Riesenmetropolen neben wunderschönen Landschaften. Leidenschaftliche Christen, die für Jesus und das Evangelium brennen, neben unübersehbarer und großer geistlicher Dunkelheit. Überragendes Essen, das ganz vereinzelt mal etwas zu scharf für meine schwäbisch geprägte Zunge ist. Schnelllebigkeit und Rastlosigkeit neben großer Gastfreundschaft und der Suche nach Sinn und Halt, besonders in der jungen Generation. China ist und bleibt in vielen Dingen ein Rätsel für mich, aber wie ich auf der Reise gelernt habe, hat das Land eine Kultur der Gleichzeitigkeiten und des „sowohl-als-auch“ und so will ich auch versuchen, diese scheinbaren Gegensätze stehen zu lassen.
Mein Fazit: Ich möchte diese Reise auf keinen Fall missen und ich würde jederzeit wieder mitgehen. Mich hat der mutige Glaube der Christen, die wir getroffen haben, ihr Herz für Evangelisation und ihre Gastfreundschaft tief beeindruckt. Mein Horizont wurde in so vielen Bereichen erweitert, meine Beziehung zu Jesus auf positivste Weise geprägt und meine Augen neu für Weltmission und für die Relevanz von beständigem Gebet geöffnet.
Ob du etwas verpasst hast? Ja, auf jeden Fall! Aber die gute Nachricht ist: Im Sommer 2025 wird die China-Reise wieder angeboten 🙂